INTERVIEW MIT MEHMET BARAN, GENERALSEKRETÄR DER KURDISCHEN KOMMUNISTISCHEN PARTEI (KKP)
Frage: Was charakterisiert die gegenwärtige politische Lage in der Türkei, nachdem das Regime die Repressionen gegen kurdische und andere Demokraten erneut verschärft hat ?
Mehmet Baran: Die Türkei befindet sich in einer politischen Krise. Der Staat und das Kapital waren nicht in der Lage, eine Regierung zu bilden, die eine politische Stabilität hervorbringen kann. Die fortschreitende Zersplitterung der Mitte-Rechts- und der Mitte-Links-Parteien ist einer der Gründe für diese Krise. Trotz aller Bemühungen ist es den Kapitalisten und der alles beherrschenden Armee nicht gelungen, eine Einheit in der Bourgeoisie und ihrer Politik herbeizuführen.
Ein weiteres Indiz für die politische Krise ist die Abrechnung des Systems mit dem politischen Islam. In den letzten dreißig Jahren war es der Staat selbst, der den politischen Islam gefördert hat mit der Zielsetzung, eine Barriere zuerst gegen die kommunistische Bewegung, dann gegen die kurdische Nationalbewegung zu errichten.
Es gibt zwei Gründe, warum heute der Staat gegen den politischen Islam ist. Erstens: Der Staat hat den politischen Islam nicht mehr als Barriere nötig, da der Kommunismus zur Zeit keine Gefahr darstellt, und auch der nationale Kampf der Kurden hat – zumindest teilweise – an Gefährlichkeit eingebüßt.
Zweitens: Der politische Islam, der sich für die Einführung der Scharia einsetzt, stellt jetzt selber Machtansprüche und schwächt so das Regime. Aus diesen beiden Gründen versucht das Regime seit etwa zwei Jahren, den politischen Islam an die Kandare zu nehmen. War es gestern noch das Ziel des Regimes, den politischen Islam aufzubauen, so soll er heute unter Druck gesetzt und eingeschränkt werden.
Das Vorgehen des Rgimes gegen Kräfte, die die Scharia wiedereinführen wollen, hat der türkischen und besonders der kurdischen revolutionären Bewegung eine wichtige Gelegenheit verschafft. Zum ersten Mal in der neueren Geschichte ist die Türkei in zwei Gruppen gespalten worden, in die Anhänger der Scharia und in die Laizisten. Unter diesen Bedingungen hätte die revolutionäre Bewegung in der Türkei und in Nordkurdistan den politischen Islam ins Schlepptau nehmen können in ihrem Kampf gegen das Regime. Aber die revolutionäre Bewegung war nicht in der Lage, diese Möglichkeit zu nutzen. Es stellt sich allerdings auch die Frage, ob sich der politische Islam mit der revolutionären Bewegung verbünden würde, dies ist aber ein anderer Punkt. Die kurdische Nationalbewegung hatte aber auf jeden Fall nicht genügend Kraft, so eine Möglichkeit zu nutzen.
Die politische Krise in der Türkei hält weiter an. Auch die Wahlen im April 1999 werden nicht zu einer Stabilisierung der Lage beitragen.
Wenn auch die politische Krise seit Jahren vorherrscht, so meistert die Armee die Krise zugegebenermaßen ziemlich erfolgreich. Die Armee beobachtet seit Jahren diese Krise und festigt ihre Position, indem sie diese Krise lenkt.
Natürlich ist das Kurdenproblem der Hauptgrund für die anhaltende politische Krise. Das Regime nimmt in den Kurdengebieten eine völlig verfestigte Position ein, und hierin liegt auch die Langlebigkeit der politischen Krise begründet. Die Gesetze, die die Presse- und Meinungsfreiheit beseitigen, werden nicht aufgehoben, auf dem Gebiet der Menschenrechte gibt es keinerlei Verbesserungen, es ist zwar von Demokratisierung die Rede, aber es werden keine Schritte in diese Richtung unternommen. es wird auch davon gesprochen, dass die Türkei einen föderativen Charakter annehmen soll, aber auch in dieser Hinsicht wird nichts getan. Es kann auch gar nichts bewegt werden, da mit all diesen Fragen das Kurdenproblem eng verknüpft ist.
Die Unterdrückung des kurdischen Volkes hat in den letzten Monaten zugenommen. Dies wird auch in den Fernsehbildern deutlich. Um nur zwei Beispiele zu nennen, in den letzten Tagen haben die Gouverneure von Diyarbakir und den umliegenden Bezirken verboten, dass in diese Gebiete Cassetten in kurdischer Sprache gebracht werden, fast jeder, von dem angenommen wird, dass er sich an einer politischen Aktion beteiligen möchte, wird in Präventivhaft genommen. Diese Unterdrückung wird in der nahen Zukunft auch noch zunehmen, denn sie steht nicht nur in einem engen Zusammenhang mit den Problemen, die sich aus der Festnahme von Abdullah Öcalan ergeben, sondern auch mit dem Ziel, den Willen des kurdischen Volkes bei den bevorstehenden Wahlen zu unterdrücken.
Frage: Das türkische Regime hat das Angebot der PKK zu einem ernsthaften Dialog über die friedliche Lösung des Kurdenproblems mit der gewaltsamen und widerrechtlichen Verschleppung von Abdullah Öcalan in die Türkei und mit der Androhung eines Prozesses gegen ihn beantwortet. Welche Aufgabe stellt sich für die KKP in dieser Situation ?
Mehmet Baran: Die PKK betreibt eine Poltik der Ausnutzung der Widersprüche zwischen der Türkei und den übrigen Staaten in dieser Region. A. Öcalan hat gesagt: „Wir machen in dieser Region Politik, indem wir alle Schlupflöcher bis zum kleinsten Nadelöhr ausnutzen.“
Von diesem Blickwinkel aus müssen auch die Beziehungen der PKK zu den Herrschenden in Syrien, Griechenland, Armenien, Iran und Rußland bewertet werden.
Öcalan ist aufgrund dieser Politik an die Türkei ausgeliefert worden. Aber diese Widersprüche und Konflikte verändern sich und können sich abschwächen. Öcalan ist ein Opfer dieser Entwicklung geworden und wird deshalb „ans Kreuz genagelt“. Kurz gesagt, wir möchten zum Ausdruck bringen, dass im Nahen Osten, wo sich die politischen Verhältnisse täglich ändern können, eine Poltik, die sich mit einem Bein auf die reaktionären Machthaber der Region stützt, keine Zukunft haben kann.
Seit 1993 ruft die PKK von Zeit zu Zeit einen Waffenstillstand aus und teilt der Öffentlichkeit mit, dass sie für eine friedliche, demokratische Lösung sei. Aber der Staat reagiert jedesmal auf die Ankündigung des Waffenstillstandes mit dem Krieg. Auch in Zukunft wird der Staat nicht positiv auf Forderungen dieser Art der PKK reagieren.
Der Staat hat heute den Guerillakampf im Vergleich zu früher in beträchtlichem Ausmaße zurückgedrängt. Inzwischen ist der auf ländliche Gebiete konzentrierte Kampf in Nordkurdistan keine Kraft mehr, die den politischen Prozess vorantreibt. Aufgrund staatlicher Zwangsmaßnahmen und teilweise auch als Ergebnis der kapitalistischen Entwicklung sind in Kurdistan eine Reihe von Metropolen entstanden. So sind wir mit den Problemen eines neuen Kampfes in den kurdischen Städten konfrontiert. Es wird noch eine Zeit dauern, bis Aufstände in den Städten an Größe gewinnen. Die Kampfesstärke der kurdischen Nationalbewegung ist heute weit davon entfernt, dass sie den Staat zu einer politischen Lösung zwingen kann. Es ist die bittere Realität, dass die kurdische Nationalbewegung dem Regime gegenüber seine Position nicht verbessern konnte, sondern diese schwächer geworden ist.
Aber das Problem hat noch eine andere Dimension: Öcalan wurde aufgrund eines bestimmten internationalen Komplotts der USA an die Türkei, die hierfür einen hohen Preis zahlen muss, ausgeliefert. Die USA beabsichtigen, Syrien, das sie mit Hilfe Israels und der Türkei in die Zange nehmen, in den „Friedensprozess“ im Nahen Osten einzubeziehen, d.h. aus dieser Region soll für das internationale Kapital ein Rosengarten ohne Dornen gemacht werden. Wenn die USA hiermit Erfolg haben, wird der Einfluss von Rußland und den europäischen Konkurrenten erheblich eingeschränkt werden.
Als Preis für die Auslieferung Öcalans erwarten die USA, dass sich die Türkei nicht gegen die Gründung eines föderativen oder autonomen Staates in Südkurdistan stemmt. Desweiteren wird von der Türkei erwartet, dass sie Zugeständnisse an Griechenland in der Zypern- und Ägäisfrage macht. Auch Israel ist Bestandteil dieses Komplotts, dessen Einfluss und Sicherheit in der Region besonders durch den Rückzug Syriens im Zuge des „Friedensprozesses“ gestärkt werden soll.
Die Türkei hält die Ergreifung Öcalans für einen großen Erfolg. Aber als Gegenleistung für Öcalan, welcher der Türkei auf einem Silberteller offeriert wurde, werden die USA Druck auf die Türkei ausüben. Die USA sehen die Kurdenfrage als ein innenpolitisches Problem an und verlangen, dass unter dem Deckmantel der Demokratisierung den Kurden das Recht auf die eigene Sprache und Kultur eingeräumt wird.
Es gibt also Anhaltspunkte dafür, dass in den nächsten Jahren die Unterdrückung der Kurden durch die Republik Türkei abgeschwächt wird, es könnte sein, dass der Staat Verbesserungen hinsichtlich der sprachlichen und kulturellen Rechte vornimmt, ganz unter dem Motto, „ihr habt es mit Gewalt nicht geschafft, wir aber geben sie euch“.
Frage: Welche Hauptaufgaben stellt sich die KP Kurdistans ?
Mehmet Baran: Die Kommunistische Partei Kurdistans steht vor zwei Hauptaufgaben. Erstens: Die Weiterentwicklung des Kampfes mit anderen nationalen Parteien und Organisationen gegen den Imperialismus, gegen die regionale Reaktion, gegen das chauvinistische, faschistische Regime der Republik Türkei. Solange die kurdische Nationalbewegung, allen voran die PKK, gegen den Imperialismus und die reaktionären Kräfte in dieser Region eingestellt ist, werden wir gemeinsam diesen politischen Kampf fortsetzen. Die KKP arbeitet mit der PKK in der „Nationalen Plattform Nordkurdistans“, der auch andere kurdische Parteien angehören, zusammen. Kurz gesagt, wir entwickeln den gemeinsamen politischen Kampf gegen den Feind und werden diesen Kurs hartnäckig weiterverfolgen.
Zweitens: Die KKP stellt sich gegen alle Haltungen, die auf einen Kompromiss mit dem Imperialismus und reaktionären Kräften abzielen. Wenn die kurdische Nationalbewegung, obwohl sie einen heftigen Schlag durch die imperialistischen und reaktionären Kräfte in diesem Gebiet erhalten hat, immer noch eine Lösung seitens der imperialistischen Zentren sucht, dann sagt die KKP klipp und klar nein dazu.
Die KKP lehnt es ab, dass der Imperialismus ein Partner in einer Lösung der Kurdenfrage ist, und wenn hieraus bestanden wird, dann trennen sich unsere Wege von den politischen Parteien, die auf einer solchen Position beharren.
Frage: Welche Wege sieht die KKP, um zu einer friedlichen, gerechten und dauerhaften Lösung des Kurdenproblems zu kommen ?
Mehmet Baran: Es geht zum ersten darum, was verstehen wir unter Lösung, was streben wir an ? In dieser Hinsicht existiert zwischen der KKP und den anderen Parteien ein großer Meinungsunterschied.
Erstens: Die KKP glaubt nicht daran, dass das Problem friedlich gelöst werden kann, der Beweis hierfür ist der andauernde blutige Kampf. Natürlich sind wir für eine friedliche und demokratische Lösung. Aber uns ist klar, dass gegen uns ein faschistischer, chauvinistischer Staat steht, der sich mit blinder Hartnäckigkeit keiner friedlichen und politischen Lösung annähern will.
Zweitens: Die KKP ist der Auffassung, dass das Kurdenproblem allein mit der Gewährung des Rechts auf die eigene Kultur nicht gelöst werden kann. Wir sehen auch nicht eine nationale Befreiung, die zur Autonomie, einem föderativen oder unabhängigen Staat führt, als eine echte Lösung an. Die KKP ist davon überzeugt, dass erst die nationale Freiheit die Befreiung für unser werktätiges Volk sein kann. Das Problem wird nicht gelöst, indem die türkische Fahne und die türkische Polizei durch die kurdische Fahne und die kurdische Polizei ersetzt werden.
Die KKP verteidigt und kämpft für die gesellschaftliche Befreiung im Rahmen der nationalen Freiheit. Im Unterschied zur PKK und den anderen kurdischen Parteien entwickelt die KKP den antikapitalistischen Kampf, sie kämpft für den Sozialismus. Wenn die kapitalistische Herrschaft nicht beendet wird, dann wird keine Lösung unserem Volk die wirkliche Freiheit bringen.
Frage: Welche Rolle spielt die internationale Solidarität für Ihren Kampf ?
Mehmet Baran: Es gibt nicht die Feinde und Freunde des Imperialismus, es gibt Interessen. Die Realität des Imperialismus sieht so aus, dass es im Nahen Osten keine Menschenrechte, Demokratie und Frieden gibt. Die jüngsten Ereignisse zeigen nochmals, dass die imperialistischen Mächte im Nahen Osten ihre eigenen Interessen durchsetzen.
Als sich Öcalan in Rom befand, wer hat da zu einer Lösung der Kurdenfrage aufgerufen ? Wer hat welche Antworten auf diesen Aufruf gegeben ? Die Reaktionen auf diesen Aufruf sind äußerst wichtig und lehrreich. Öcalan hat bekanntlich an die imperialistischen Führer wie Bill Clinton und Tony Blair und auch an den Papst einen Brief geschrieben, in dem er die Adressaten dazu auffordert: „Nehmen Sie sich des Kurdenproblems an und seien Sie die dritte Partei, wie Sie es auch in der Palästinenserfrage und im Falle von Nordirland gewesen sind.“
Aber diesen Hilferuf Öcalans haben die imperialistischen Zentren mit seiner Auslieferung an die Türkei beantwortet. Die Arbeiter und Werktätigen dieser Welt und ihre kommunistischen, fortschrittlichen und humanistischen Vertreter sind diejenigen, die sich mit ihren Massenaktionen für die gerechten Anliegen der Kurden und auch für Öcalan persönlich einsetzen. Diese Entwicklung zeigt dem kurdischen Volk sehr deutlich, wer seine echten Freunde sind und auf welche Kräfte es sich stützen kann. Wir wünschen der kurdischen Nationalbewegung, die von der PKK angeführt wird, dass sie aus diesen lehrreichen Entwicklungen die notwendigen Lehren zieht.
Die KKP hat von Anfang an vertreten, dass in der internationalen Solidarität die kommunistische Weltbewegung und die fortschrittlichen Kräfte die echten Freunde unseres Volkes sind und hat deshalb den Kampf in diese Richtung entwickelt. Wir setzen uns für die internationale Solidarität der kommunistischen Weltbewegung ein, um einen kommunistischen Weg in der Kurdenfrage einzuschlagen.
(aus: Unsere Zeit, Zeitung der DKP, Nr. 8, vom 16. April 1999)